Juni 2016
Was Snapchat über das digitale Marketing der Zukunft erzählen kann.
Jetzt Snapchat. Also wieder ein neuer Hype? Vielleicht. Interessant sind in jedem Fall die Veränderungen und Umwälzungen hinter der App und wie werbetreibende Unternehmen damit umgehen. Genauer betrachtet wird der Begriff vom „werbetreibenden“ Unternehmen in diesem Zusammenhang sowieso immer unpassender, denn die sozialen Medien haben uns den direkten Eins-zu-Eins-Echtzeit-Dialog mit den Verbrauchern gebracht. Deshalb wäre es sowieso vielleicht sinnvoller künftig von den „kommunizierenden“ Unternehmen zu sprechen. Im Rahmen unseres "Lab" haben wir uns ein paar Gedanken dazu gemacht, die über die rein technische Seite hinausgehen. Aber der Reihe nach.
Was ist dieses Snapchat eigentlich?
Zugegeben, Snapchat ist ein wenig kompliziert, weil es einige Features vereint. Der Grundgedanke ist aber der eines Videochats. Anstelle von Texten verschickt man eben kleine Bilder oder Videos, die mit Stickern und Texten und Effekten aufgemotzt werden können.
Anders als Facebook, bei dem die Timeline zu einer „Lebenslinie“ werden soll, die alle Highlights des eigenen Lebens abbildet, setzt Snapchat auf „Ephermality“ – Flüchtigkeit. Veröffentlichte Inhalte stehen maximal 24 Stunden zur Verfügung. Dann sind sie weg. Bei privaten One-to-One-Chats verschwindet der Content sogar bereits nach 3-10 Sekunden.
Das hört sich zunächst erschreckend an: Inhalte produzieren nur für ein paar Stunden?
Doch genau in diesem, für das klassische Content-Marketing paradoxen Ansatz liegen auch ein paar Stärken:
- Das kompakte Format lädt zum unterhaltsamen Storytelling ein, ohne dass große Production-Values erwartet werden – schließlich können Inhalte nur mit der App produziert werden. So macht zum Beispiel Primark einfache Handyclips von seinen aktuellen Kollektionen, schreibt den Preis drauf und fertig - das reicht vollkommen aus.
- Das Format zwingt dazu, aktuell zu sein. Das Jetzt zählt. Die alten Werbeclips aus den 50ern sind hier fehl am Platz. Wer nicht regelmäßig neue Kollektionen oder Sonderangebote zu bieten hat, braucht also eine klare Content-Strategie, in die er Snapchat einbetten kann.
- DAS „FOMO (Fear of Missing Out)-Prinzip“: Nutzer müssen dranbleiben, um nix zu verpassen. Wer zum Beispiel von Snapchat-exklusiven Rabattcodes profitieren möchte, muss sich die Posts anschauen, um herauszufinden, ob sich ein Code darin verbirgt.
- Keine Aussage gilt für immer – denn die Posts verschwinden nach wenigen Stunden.
- Es gibt keine öffentlich sichtbaren Kennzahlen. Der Wer-hat-die-meisten-Wettbewerb mit der Konkurrenz entfällt also.
Eine neue Art des Branding?
Die interessante Botschaft von Snapchat ist der Trend, der sich dahinter verbirgt und der sich auch an vielen anderen Enden und Ecken der digitalen Welt bemerkbar macht: Schnellere Kommunikation bis hin zum Live-Stream. Youtube und Facebook bieten bereits Live-Kommunikation an. Apps wie Periscope erlauben jedem, mit einem eigenen Live-Stream eigene Inhalte live zu broadcasten. Die Technologie beschleunigt unsere Kommunikation weiter.
Ein mögliches Szenario: Erfolgreiche Marken der Zukunft werden künftig schnell und tagesaktuell kommunizieren, unterschiedliche Kanäle permanent bespielen und auf aktuelle Ereignisse reagieren. Die Kommunikation mit Zielgruppen, Verbrauchern, Fans wird sich weiter nachhaltig verändern.
Marken werden Position beziehen müssen, um unterhaltsam, klug und charmant und vor allem schnell auf reale Ereignisse zu reagieren. Ich würde mich noch scheuen, von so etwas wie „Echtzeit-Marketing“ zu sprechen, aber in diese Richtung könnte die Reise durchaus gehen. Auf jeden Fall gewinnt der Schnellere. Oder besser gesagt: der besser Organisierte. Herzen und Marktanteile.
Dadurch werden sich langfristig auch Prozesse und Arbeitsweisen in Unternehmen und Agenturen verändern. Wenn man schnell und permanent immer wieder neue, frische Inhalte produzieren muss, können nicht dieselben Mechanismen greifen wie bei einer detailliert geplanten Kampagne, bei der jedes Detail stimmen soll.
Damit die neuen Formen der Kommunikation aber letztendlich auf eine Marke einzahlen und helfen, ein Markenimage aufzubauen oder zu pflegen, ist nach wie vor ein klares, eindeutiges Markenprofil erforderlich. Ein Korridor, der es ermöglicht, die richtigen Themen zu identifizieren und den richtigen Ton zu treffen. Je schneller es gehen muss, umso wichtiger ist es, dass das Profil und Wesen der Marke von allen Beteiligten sozusagen „inhaliert“ und verinnerlicht wurde. Planloses, beliebiges und zufälliges „Rumgeposte“ wäre tatsächlich kontraproduktiv.
Marken der Zukunft werden ihr Image künftig immer stärker auch über solche Mikrointeraktionen entwickeln. Durch Posts, Clips, Kommentare, Statements und Handlungen wird aus einer statischen Brand ein lebendiger und erfahrbarer Charakter, der sich in Posts, Geschichten und Aktionen spiegelt, dessen Werte erlebbar werden. Damit das gelingen kann, ist ein starker und flexibler Brandframe unabdingbar.
Alte, neue Botschaft: The medium is the message
Marken sind nur dann erfolgreich, wenn sie eine sozio-kulturelle Relevanz besitzen. Die digitale Revolution hat gravierende Auswirkungen auf unsere Kommunikation, auf unseren Alltag und unser Leben und letztendlich auch auf die Inhalte. The medium is the message. Und diese message lautet: Markenkommunikation wird sich verändern und weiter beschleunigen. Marken, die diesen Umbruch nicht mitmachen, werden für die digital natives an Relevanz und Profil verlieren. Langfristig könnte sich das Brandbuilding sogar von seinen klassischen kampagnenbasierten Wurzeln zugunsten volatiler und flexibler Identitäten lösen.
Zugegeben, das sind steile Thesen und die Darstellung ist sicher etwas überspitzt. Sicher ist aber auch, dass wir vor weiteren Veränderungen und Umwälzungen stehen, die es genau zu beobachten gilt.
Übrigens: Wir haben selbst auch noch keinen Snapchat Account. Aber das kann ja noch kommen.
Dietmar
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